Zwingli III – Der Zorn der Prophetin
Prolog – Der Auserwählte des Nichts
Der Regen
fiel in dünnen, kalten Strähnen und zeichnete graue Linien auf den Asphalt.
Donald Zwingli zog den Kragen seiner aus der Altkleidersammlung entwendeten Jacke
hoch, die längst ihren Reißverschluss verloren hatte. In der Manteltasche
klirrte das Restgeld – genug für einen Liter billigen Whiskey, zwei Dosen
Erbsensuppe, in denen alles Mögliche aus der chemischen Hexenküche mit Ausnahme
von Hülsenfrüchten enthalten war und vielleicht ein abgepacktes Brot vom
Vortag. Entschlossen getrieben von Sucht und Hunger steuerte er den
Shiddl-Markt an. In früheren Zeiten wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, so
rumpelte es durch seinen von Alkoholdünsten angeschlagenen Verstand, jenen
schmuddeligen Billigdiscounter, den grell erleuchteten Tempel der Verlierer, in
dem Erlösung in Rabattstufen gemessen wurde jemals zu betreten.
Vor gar nicht allzu langer Zeit war
Donald ein Mann mit geregeltem Einkommen, der verächtlich auf Menschen am
unteren Ende des sozialen Spektrums herabsah. Kaserniert in einem Großraumbüro in
einem jener grauen Betonkästen, in denen Träume nicht sterben mussten, weil sie
dort nie geboren wurden, quälte er sich täglich durch von Routine erstickter
Sachbearbeitung – deshalb, Freunde: Augen auf bei der Berufswahl!
Supervisiert von einer
Führungskraft, dessen geistige Fähigkeiten und Manieren eher denen eines
missgelaunten Gorillas entsprachen, sehnte er sich nach mehr als knechtisch
stumpfsinniger Büroarbeit. Zwar besaß er ein in mühseligen Jahren angespartes,
wohlgefülltes Bankkonto, eine ererbte Eigentumswohnung, und seine Fähigkeiten
reichten unglücklicherweise nicht für eine qualifiziertere Tätigkeit aus, aber
er fühlte sich zu Höherem berufen – fast auserwählt.
Dann kam das Video! Eigentlich
suchte er aus Kostengründen eine ranzige Pornoproduktion auf YouTube, landete
aber durch Unaufmerksamkeit und dem Thumbnail einer sehr attraktiven Dame, bei
einer Werbeproduktion der ‚Feuerknechte Gottes‘. Normalerweise hätte der durch
seine Ansprüche und wenig originelle Art partnerinnenlose Donald genervt
weitergezappt, aber die Frau schlug ihn in ihren Bann. Sie sprach mit einer
Stimme, die wie Samt auf einer Rasierklinge klang, von Berufung. Vom Wert des
Einzelnen im Reich Gottes, von einem Sinn in einem sonst bedeutungslosen Leben.
„Auch Du bist auserwählt! Sei im Tempel des Herrn in der Fleetstreet 666
willkommen!“, so sprach die Prophetin mit süßlich giftiger Stimme. Und der
kleine Fisch fraß den Köder!
So ging zu jenen, die das Opium
ewigen Heils dem Volke predigten und sah sie wieder, die Prophetin, die
Auserwählte des Herrn, ein wunderschönes Raubtier, das er für ein Lamm hielt.
„Wer gibt, der lebt im Licht! So
öffnet denn eure Herzen und Brieftaschen“ rief sie im Tempel der dunklen
Göttin, ihrem Tempel.
Und Donald gab, vergeblich hoffend,
dass sie ihn sah. Am Anfang nur einen kleinen Betrag, dann den Zehnten,
schließlich fast alles. Und endlich bemerkte ihn die Auserwählte.
„Sehet das Lamm Gottes! Preiset die
Armut im Geiste!“, so sprach die Prophetin wohlgefällig lächelnd.
Das Licht wuchs in ihm, dachte er. Er fühlte sich reingewaschen, gesehen,
gebraucht.
Die Prophetin vergaß das geistig
arme Lamm Gottes schnell, predigte von Reinigung durch Opfer. Ein alter Mann, Antonius
Pius, hatte seine letzten, finanziellen Mittel gespendet – um seine Seele zu
retten und dem alttestamentarischen Zorn der Auserwählten zu entgehen, der sich
des Öfteren mit gezielten Hieben ihres goldenen Kruzifixes oder peitschenden
Bußpredigten entlud. Donald klatschte
damals noch, Tränen in den Augen, überzeugt, Zeuge eines Wunders zu sein.
Als der fromme Antonius mit heiligen Fußtritten aus dem Tempel befördert wurde,
weil er nicht mehr geben konnte und inzwischen auf der Straße lebte, verstand Donald
endlich, dass Erlösung dort nur in Form von Daueraufträgen existierte.
„Gib, und du wirst einen Schatz im
Himmelreich anhäufen, wertvoller als alles Gold“, sagte die Prophetin mit
schmeichelnder Stimme und den Augen einer hungrigen Python.
Er gab, bis er nichts mehr hatte, bis auch seine Ersparnisse ins Reich Gottes
eingegangen waren. Dann gab er weiter. Er begann Kredite aufzunehmen, heimlich.
Eines Abends sprach die dunkle
Herrin von den Lauen im Glauben. Ihre Stimme hallte von den Wänden wie eine
Peitsche.
„Wer zweifelt, hat den Herrn verraten! Wer nicht mehr gibt als den Zehnten,
dient dem Dämon Mammon!“
Donald schwitzte, zitterte, nickte, verkaufte seine Eigentumswohnung und zog in
eine billige Absteige.
Der Schatten der Erkenntnis kam
schleichend.
Er hatte nichts mehr – kein Geld, keine Arbeit, keinen Glauben. Nur Angst. Als
er endlich begriff, dass seine Göttin ihn nicht erlösen, sondern nur melken
wollte, machte er sich davon wie ein Dieb in der Nacht. Donald mied den Tempel,
bunkerte sich in seiner verwahrlosten Wohnung im verwahrlosten Hochhaus -wegen
dem speziellen, sozialen Klima auch ‚Mörderhochhaus genannt- ein, wenn Gläubige
ihn zum Gottesdienst-Event schleppen wollten. Schließlich kamen die
Gottesknechte irgendwann nicht mehr und Zwingli glaubte, die Angelegenheit wäre
für ihn erledigt – solange er schwieg zumindest.
Er irrte sich!
Episode 0 – Bruder Tuck und der Zorn der Straße
Donald betrat gedankenverloren den
Shiddl-Markt und der ihm entgegenwehende, würzige Geruch von Desinfektionsmittel
und abgestandenem Bier holte ihn auf einen Schlag in die Gegenwart zurück.
Eilig durchstreifte er die schmuddeligen Gänge, um sein ersehntes Lebenselixier
-seine Offenbarung eines elenden Daseins- zu ergattern.
Verächtlich betrachtete ihn die
Kassiererin, als er die Flasche ‚Old Stablefort‘, der discountereigenen
Whiskey-Billigmarke, von der es gerüchteweise hieß, dass die Mafia mit dem
minderwertigen Fusel lästige Körper auflöse und gegen den das elendeste
Moonshine-Gesöff edel erschien, verlegen mit den im Prolog genannten Leckereien
als Tarnung präsentierte.
Draußen, im spätnachmittaglichen
Regen, riss er die Flasche auf, trank, und sah eine abgerissene, ungepflegte
Gestalt in einer reflektierenden Pfütze. Ein Mann, der wenig Ähnlichkeit mit
dem Donald Zwingli von einst besaß, desillusioniert, an nichts mehr glaubend,
aber trotzdem darauf wartend, dass irgendetwas – irgendein System, irgendein
Gott, selbst eine Maschine – ihm sagte, wie es weitergehen sollte.
Letztlich blieb ihm doch nur das so
übel reichende wie schmeckende Tröpfchen voller Glück, das er wie einen einst
das Kruzifix umklammerte – sein einziger Freund.
Er setzte an, wollte gerade den
zweiten Schluck nehmen, als der Boden unter seinen Füßen vibrierte. Erst sanft,
dann wie ein Herzschlag aus Stahl. Ein Dröhnen kam näher – tief, wütend,
mechanisch. Donald drehte sich um.
Ein Monstertruck, schwarz wie ein verrostetes Sakrament, sauste mit
aufheulendem Motor wie eine groteske Chimäre aus mythologischen Welten heran.
Die Scheinwerfer, gierige Augen einer hungrigen Kreatur, schienen ihn zu
verschlingen blendeten ihn und zwei Kreuze aus LED-Licht bohrten sich in die
Netzhaut der ersehnten beute Netzhaut. Auf der Motorhaube prangte das Emblem seiner
einstigen, spirituellen Heimat: eine brennende Dornenkrone über dem Schriftzug
„LORD’S ROADCREW“.
Und hinter dem Steuer saß Bruder Tuck – ein glatzköpfiger Berg von einem Mann
mit rotem Nacken, Bibel in der einen Hand, Lenkrad in der anderen. Er trug die schwarze
Uniform der Paladine der Prophetin, ein überdimensionales Kettenkreuz und eine
fanatische Grimasse, die schon viele demütigende Beichten überlebt hatte.
Blitzartig manifestierte sich die
Erkenntnis mit ausnüchterndem Effekt in Donalds Geist: Man war weit davon
entfernt, ihn einfach ziehen zu lassen. Hatte die Auserwählte des Herrn nicht
oft genug betont, dass es nur eine Möglichkeit gab, die ‚Feuerknechte Gottes zu
verlassen? Entweder man ging in das Reich eines imaginierten Schöpfers ein oder
landete eben einige Etagen tiefer. Zwar wusste er nicht, dass die Prophetin mit
zunehmender, fast hysterischer Wut gegen den ‚Abtrünnigen‘, der ‚Inkarnation
des Dämonen Baphomet‘ ebenso wie der ‚Tempelhure Jezabel‘ predigte und die
Gemeindemitglieder voller Inbrunst bei ihrem Gott seinen Tod erflehten, aber er
zog den richtigen Schluss: Offensichtlich hatte die Heilsbringerin ihre
Schäfchen nun zu heiligem Werk ausgesandt, um seinen Austritt sozusagen in
finaler Form zu vollziehen.
Der Motor brüllte auf wie ein
hungriger Grizzly beim Anblick eines gehbehinderten Elchs. Donald blinzelte,
Adrenalin durchströmte seinen Körper– der Truck beschleunigt, Wasser spritzte,
Asphalt bebte. Tuck raste direkt auf ihn zu, die Hupe röhrte disharmonisch wie
das Horn einer bizarren Apokalypse oder zumindest wie das Opfer besagten Bären,
während es lebendig gefressen wurde.
Donald stolperte rückwärts, Whiskey
tropfte auf den Boden. Er sah die Frontstoßstange, sah sein elendes Leben in
Rückblenden – Excel-Tabellen, Gebete, Kreditverträge – und wusste: Wenn er
jetzt nicht handelte, war er ein toter Mann.
Was tat denn wohl der Todgeweihte?
- Er floh in
den Laden (Episode 1).
- Unser
flinker Held rannte in die entgegengesetzte Richtung über den Parkplatz in
Richtung zahlreicher, überquellender Müllcontainer, um dort Schutz zu suchen. (Episode 2)
- Zwingli
blieb stehen, um im letzten Moment auszuweichen. (Episode 3)
- Der listige
Donald verharrte auf seiner Position und appellierte ebenso an die Nächstenliebe
des frommen Bruder Tuck wie die Gnade Gottes. (Episode 4)
Episode 1 – Das Shiddl-Massaker
Der Boden bebte, es war so, als würde
der Leibhaftige selbst unter dem Shiddl-Markt ein gigantisches Schlagzeug mit
Begeisterung spielen. Donald stolperte zwischen den Einkaufswagen hindurch, die
quietschend davonrollten. Er roch Schweiß, Plastik, Fusel – und den süßlichen
Dampf von Angst. Hinter ihm brüllte der Motor wieder gierig auf.
Die automatischen Tür schloss sich träge, wie ein kritischer Türsteher, der
noch überlegt, ob diese seltsame Gestalt nicht besser draußengeblieben wäre.
Donald schaffte es gerade durch den Sensorbogen, als die Hölle in Blechform
kam. Ein einziger Aufprall. Dann Glas, Stahl, Fleisch, Neon. Der Monstertruck
durchbrach die Front des Discounters wie die göttliche Offenbarung aus Schrott
den ekstatischen Geist eines alkoholkranken Priesters im Vollrausch. Die
Scheiben zersprangen in gleißendem Licht; die Luft füllte sich mit den Schreien
von Menschen, die plötzlich zu Chorstimmen des neunten Kreis der Hölle wurden.
Donald flog durch die Luft – eine zerbrochene Marionette im falschen Stück –,
schlug gegen ein Regal mit Dosenananas und fiel auf den Boden. Er sah den Truck
wie einen dunklen Altar menschenverschlingender Götte durch die Gänge walzen. Metall
und Blut mischten sich zu einer wahnwitzigen Predigt. Zwanzig Körper,
vielleicht mehr, lagen verstreut zwischen den Restposten. Donald wollte beten, aber
er wusste nicht zu wem eigentlich und so fiel ihm nur einer der üblichen, sinnfreien
Werbungslogans ein: „Bei uns bekommst Du mehr, Shiddl lohnt sich.“
Hinter der Windschutzscheibe grinste
der von seinem Lenkrad durchbohrte, sterbende Bruder Tuck glücklich. Ein Auge
offen, eines halb zugedrückt, als würde mit einer leicht debilen, aber triumphierenden
Grimasse den bedauernswerten Petrus mit seiner Bitte um Einlass nerven. Seine
Hände umklammerten mit letzter Kraft sozusagen als letzten Ausdruck seines
Selbst auf Erden eine zerfetzte Bibel und das geliebte Budweiser in Dosenform. Aus
dem Radio kam ein Country-Song, der passenderweise seinen Abgang versüßte, dann
Stille, die auch Donald in ewiger Form empfing, der in seinen letzten Gedanken
Freude darüber empfand, das miese Gejaule nicht mehr anhören zu müssen.
Während des Abendgottesdiensts im
Tempel, bereitete die Prophetin ihren Schäfchen ein besonderes Showevent: Sie
stand vor einem brennenden Kreuz, sprach mit jubilierender Stimme
„Ein wahrer Krieger des Herrn, der
Truck vom heiligen Geist selbst geleitet!“ rief sie. „Bruder Tuck ist
heimgekehrt! Er hat die Sünder mit sich genommen – er hat gereinigt, was unrein
war! Vernichtet hat er die Teufelsbrut! Sein Name soll gepriesen werden für
immerdar!“
„Game Over.
Daten gesichert.
Simulation #002 bereit – Restart?“
Episode 2 – Der Asphalt des Herrn
Der Regen war dichter geworden, als
Donald Zwingli in Panik losrannte.
Er dachte nicht – er tat, was viele tun würden, wenn der Tod in Form eines
Monster-Trucks sie ins Visier genommen hätte: weglaufen.
Das fahle Licht des trüben Nachmittags legte sich wie ein schäbiges Leichentuch
über den müllübersäten Parkplatz, nasse Pfützen spiegelten Verzweiflung und
Angst.
Donald hörte das Brüllen des Motors
hinter sich, das Kreischen der Reifen, das dumpfe Echo seines eigenen
Herzschlags. Der Truck kam näher. Er
rannte zwischen zwei Einkaufswagenreihen hindurch, stolperte, verlor die
Flasche, hörte sie hinter sich zerspringen – „Old Stablefort“, ein stiller
Salut und ein Symbol einer elenden Existenz, die nun zerbrach.
Dann dieses Gefühl, als würde die Welt selbst aus allen Gelenken brechen.
Der Aufprall war kein Schrei, kein
Knall, nur ein einziges, zermalmendes Geräusch – eigentlich so unspektakulär
ein das Leben, das es beendete. Donald Zwingli, dritter seines Namens, wurde zu
einem roten Fleck auf grauem Beton, eingeschrieben in die Chronik der Verlorenen,
die schnell vergessen und von niemanden vermisst werden.
Als die Polizei kam, regnete es
immer noch. Zwei Beamte, Regenjacken über der Routine.
Sie notierten etwas, sahen den Truck, sahen das Kreuz auf der Motorhaube, sahen
die Bibel auf dem Armaturenbrett – und sahen dann wie gewohnt weg. Ein Unfall,
sagten sie. Ein tragischer Zwischenfall, sagten sie. Sergeant Howitzer -wegen
seiner etwas rabiaten Verhörmethoden bekannt als der ‚Folterknecht‘- schlug
sogar mit seiner mächtigen Pranke dem freudig grinsenden Bruder Tuck gönnerhaft
auf die Schulter und bot ihm einen Schluck aus seinem geliebten Flachmann an.
Am Abend, im Tempel, hielt die
Auserwählte des Herrn einen Dankgottesdienst.
Die Prophetin, schwarz gekleidet,
mit weißer Rose in der Hand, stand vor ihren Jüngern und sprach mit
tränenerstickter Stimme:
„Bruder Tuck ist ein Werkzeug des Himmels. Ein Engel des Zorns, ein Kämpfer
wider die Finsternis. Der Herr selbst lenkte seine heiligen Pick-Up, um den
Sohn Satans in die ewige Verdammnis zu senden.“
Die Menge jubelte, manche weinten.
Bruder Tuck kniete nieder, Tränen und Motoröl im Gesicht, und durfte die Füße
seiner Herrin als besondere Gunst küssen. Die dunkle Göttin segnete ihn mit
einem Lächeln, das aus den Abgründen ihrer kranken Psyche emporstieg.
Die Polizeiakte verschwand in
irgendeinem Schrank. Der Fall war erledigt, bevor er begonnen hatte. Die
Prophetin hatte Freunde in Ämtern, in Kirchen, in Betten, und keiner wollte den
Zorn der Erwählten spüren.
Nachts parkte der heilige Pick-Up
vor dem Tempel der Gemeinschaft. Das Blut war abgewaschen, die Chromstoßstange
poliert und ein weiteres Andreaskreuz für einen toten Ungläubigen angebracht. Bruder
Tuck schlief selig in seinem Vehikel unter dem Motto:
„Wer für den Herrn fährt, parkt im Paradies.“
Game Over
#2.
Ursache: Dummheit × Schwerkraft.
Neues Szenario verfügbar.
Episode 3 – Der Sprung des Auserwählten
Donald stand
mitten wie angewurzelt, die Flasche in der Hand, und für einen Sekundenbruchteil
dachte er überhaupt nichts – allerdings ist dies bekanntlich bei den meisten
Zeitgenossen ein Dauerzustand. Weder Angst noch Mut – nur dieses kalte,
schneidende Vakuum, das entsteht, wenn der allgegenwärtige Sensenmann plötzlich
seine Fratze zeigt.
Dann kam der Truck. Scheinwerfer wie
zwei Höllenmäuler, die den Asphalt fraßen. Er konnte jetzt Tucks verzücktes Gesicht
erkennen: aufgedunsen, schweißglänzend, offensichtlich einen gottgefälligen
Choral kreischend – eben ein Fanal religiöser Ekstase, das eine groteske
Apokalypse auf vier Rädern persönlich auslieferte.
Kein grandioser Plan entstand in seinem vom Whiskey vernebelten Gehirn, sondern
ein Instinkt tief verborgen in den Abgründen der Genetik, der ihn vermutlich,
und seine ähnlich intelligenten Vorfahren schwerlich vor einem hungrigen
Smilodon gerettet hätte, aber für den tumben Tuck sich als ausreichend
herauskristallisierte, rettete ihn. –
einfach ein verzweifelter Satz in die Seite. Donald machte in letzter Sekunde
einen erstaunlich großen Sprung aus der Gefahrenzone. Der Monstertruck schoss an ihm vorbei, so
nah, dass der Luftzug ihn herumriss.
Er fiel, rollte, hörte Metall
kreischen, Glas bersten, Stimmen schreien. Dann – eine Explosion aus Licht und
Lärm. Der Truck krachte in die Glasfront des Shiddl-Marktes. Eine widerliche
Kakophonie des Grauens wie aus dem neunten Kreis der Hölle selbst, dann Stille.
Neonröhren flackerten, als wollten sie der gelungenen Show applaudieren. Der
Gestank von Benzin, verdorbener Lebensmittel, Blut und billiger Hoffnung hing
in der Luft.
Der erfolgreiche Leichtathlet lag auf dem Asphalt,
hustend, das Herz ein Presslufthammer.
Donald hob den Kopf. Wo eben noch der Markt gewesen war, ragte jetzt ein
Trümmerhaufen aus Stahl und Rauch. Er wusste: Nur wenige konnten die Amokfahrt
überlebt haben. Jedenfalls nicht Bruder Tuck oder die Leute im Eingangsbereich.
Er rappelte sich auf, schwankte, taumelte über den Parkplatz. Seine Knie
fühlten sich an wie Pudding, aber irgendein uralter Reflex ließ ihn
weiterlaufen, weg von dem bizarren Kreuzzug, den er gerade überlebt hatte.
Hinter ihm jaulten die Sirenen wie eine Meute hungriger Schakale.
Wenig später
veranstaltete die Auserwählte des Herrn im Tempel ein religiöses Event der
bombastischen Art. Die Haare in gespielter Trauer zerzaust, abstehend wie die
Schlangen der Gorgo Medusa, die Augen voller unheiligem Wahn und Tränen, die
durch eine verborgene Zwiebel nie versiegten, sprach sie zu den mordgierigen
Schäfchen.
„Unser geliebter Bruder Tuck,“ rief
sie, als ob sich der Zorn Gottes in ihr inkarnieren würde,
„ist heimgegangen in die Arme des Herrn. Er hat sein Leben gegeben, um uns zu
reinigen. Ein Märtyrer, erschlagen von der Hand eines Teufels in
Menschengestalt. Diesem Werkzeug Satans, dem Wechselbalg Donald Zwingli,
genügte es nicht, den heiligen Mann wie ein Tier zu schlachten, er meuchelte
auch 22 Unschuldige in seiner Bosheit. Kann denn niemand diese Ausgeburt der
Hölle vernichten?“
Die Menge weinte, schwor grausame
Rache, Manche knieten, baten ihren Gott verzweifelt, den Dämon von der Erde zu
tilgen.
Und der ‚Teufel in
Menschengestalt‘? Der besaß kein Handy,
kein Geld, und überlegte, wie er dem Wahnsinn entkommen könne.
-
Nach Hause, ins Mörderhochhaus fliehen
(Episode 5)
-
Zur Polizei gehen (Episode 6)
-
Sich direkt zur Presse begeben (Episode 7)
-
Versuchen aus der Stadt zu fliehen (Episode 8)
Episode 4 – Der Hammer des Herrn
Der Wind
roch nach Öl und Ozon, als Donald Zwingli den nahenden Donner hörte.
Wie der schwarze Schatten eines trivial komödiantischen Todes wuchs der
Monstertruck auf dem Asphalt.
Zwingli wusste, dass er keine Chance hatte – und tat das, was Idioten und
Heilige gemeinsam haben: Er vertraute – ob nun der religiösen Idiotie des
frommen Bruders Tuck oder schlicht seinem Glück, wusste er selbst nicht so
genau. Donald griff an seinen ungewaschenen Hals. Das kleine Holzkreuz, das ihm
einst die Prophetin nach einer mehr als großzügigen Spende despektierlich
lächelnd selbst übergab, hing noch dort, ein Überbleibsel trauriges aus der
Zeit, in der er glaubte, ein imaginärer Gott antworte auf Gebete. Er hob es in
die Höhe, die Finger zitterten, die Augen brannten vom Regen.
„Jesus liebt dich, Bruder!“, rief er
gegen das Brüllen des Motors, aber der Motor war lauter als jeder debile,
religiöse Slogan.
Bruder Tuck sah das Kreuz, sah den
Mann, und irgendetwas in seinem Hirn aus Bier, Bibel und fanatischer Wut knallte
nun völlig durch.
‚Der Ketzer verspottet den Herrn! Der Satan selbst besudelt das Zeichen
Christi!‘
In heiligem Zorn beschleunigte der
motorisierte Gottesknecht sein Vehikel. Der Truck schoss nach vorn. Tucks
Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze unendlichen Hasses.
Donald stand da, Arme weit, das Kreuz über dem Kopf, und für einen kurzen
Augenblick glaubte er tatsächlich, dass etwas ihn beschützen würde, aber zum
letzten Mal in seinem Leben irrte er sich.
Dann kam das Metall. Es gab kein
Schreien, nur das Geräusch von zerrissenem Fleisch und brechendem Knochen, danach
Stille – und dann das ohrenbetäubende Krachen, als der Truck in den
Shiddl-Markt raste.
Neonlicht, Glas, Flammen. Körper
flogen, Regale brachen, der Himmel schwieg und ein gleichgültiger Gott gähnte
gelangweilt in seinem himmlischen Palast.
Donald Zwingli, dritter seines Namens, war nicht mehr, ging ein in die Chronik
der Narren als ein würdiger Kandidat für den Darwin Award.
Bruder Tuck ging ein in das Reich seines Gottes oder einige Etagen tiefer,
allerdings ohne 99 Jungfrauen, da er ja formell ein Christ war. Die anderen 30
Opfer -nicht vergessen, der Pick-Up des Herrn wurde zusätzlich beschleunigt-
landeten wo auch immer.
Die Prophetin stand später auf der großen, goldverzierten Bühne des Tempels, Tränen
der Freude in den Augen, güldenes Licht im Rücken, das sie wie einen Engel
erstrahlen lassen sollte.
„Bruder Tuck,“ sprach sie
salbungsvoll, „war der Hammer des Herrn! Er hat den Satan zertreten, wie man
eine Schlange zertritt! Sein Opfer ist groß – sein Lohn ist ewiglich!“
Die Menge jubilierte, wie vermutlich
die himmlischen Chöre beim Preisen ihres Chefs.
Game Over
#4.
Ursache: religiöse Idiotie.
Moral: Der Himmel liebt keine Freiwilligen.
Episode 5 – Die Jungfrau der Einfalt
Der Regen
hatte nachgelassen, doch über Gelsum lag noch ein transzendenter Dunst verlorener
Hoffnung. Donald Zwingli rannte, keuchend, voller Ratio tötender Panik in
Richtung seines elenden Domizils. Die Füße rutschten förmlich über ebenso
glitschigen wie dreckverschmierten Pflastersteine. Zwischen dem in der
heruntergekommenen Stadt üblichen Straßenbild von überquellenden Müllcontainern
und kaputten Straßenlaternen erschien wie ein Fanal gesellschaftlichen Verfalls
das Hochhaus der speziellen Art – sein trautes Heim: ein grauer Sarg mit verrottenden
Installationen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Briefkästen besaßen. Die
Betonwände des Gebäudes wirkten wie Zähne eines allesverschlingenden Monsters,
das auf seine Beute wartete.
Donald blieb kurz stehen, rang nach Luft. Nur noch ein paar Meter, dann die
rostige Tür, der Aufzug, der nach Urin roch – vielleicht eine Nacht in
Sicherheit und genug Klebstoff zum Schnüffeln, um lebensbedrohende Sorgen zu
vergessen.
Ein Schatten löste sich vom
Hauseingang, dann ein zweiter. Hinter den Mülltonnen blinkte eine erschien ein
feistes, in gierigem Hohn leuchtendes Gesicht, und eine Stimme rief:
„Da ist er! Der Satansknecht ist heimgekehrt!“
Donald drehte sich um, doch zu spät.
Zwei Gestalten in schwarzen Regenmänteln und rot-weißen, mit einem schwarzen
Kreuz verzierten Armbinden stürzten sich auf ihn, zitierten dabei Schriftverse
mit der Begeisterung von volltrunkenen Schlachtruf-Sängern.
„Denn der Lohn der Sünde ist der Tod! Vernichtet das Ungeziefer im Weinberg des
Herrn!“
Ein Schlag traf ihn an der Schläfe, ein weiterer in die Rippen. Er fiel auf die
Knie, schmeckte Blut und Beton.
Die Menge kam näher – fünf, sechs,
vielleicht zehn Leute, Männer und Frauen, die Gesichter verzerrt vor Eifer. Einer
hielt eine zerfledderte Taschenbibel hoch wie ein Messer, der andere filmte mit
dem Handy.
„Zeig uns, wie du dich windest, Dämon!“
Donald schrie, flehte, aber der Wind
der Ignoranz machte seine Peiniger taub. Hände packten ihn, zogen ihn hoch.
„Halte ihn, Brüder! Die Gerechtigkeit des Herrn verlangt ein Werkzeug!“
Da trat Schwester Lucretia vor – eine
rundliche Frau mit kindlichem Gesicht und einem Lächeln, das an Sonntagsmalerei
erinnerte. Ihre Handtasche war groß, altrosa, mit einem aufgenähten Engel. Sie
kramte darin, als suche sie ihr Gebetbuch, dessen Inhalt sie trotz aller
Anstrengen nicht vermochte, mental zu erfassen. Doch stattdessen zog sie ein
Küchenmesser hervor, die Klinge stumpf, aber lang.
Lucretia hob die Klinge, zitterte
kurz – dann fuhr sie nieder. Einmal. Noch einmal.
Das Blut spritzte auf ihre Hand, in ihr Gesicht, ihr Blick blieb leer. Donald
sackte zusammen, sein Leben verrann zwischen stinkenden Müllcontainer und
religiösem Fanatismus.
Und die inquisitorische Masse
jubelte in heiliger Ekstase.
„Gelobt sei die Hand der Gerechten! Der Sohn des Teufels ist gefallen!“
Später, im Tempel der Gemeinschaft, stand
die Prophetin auf der Bühne, in einem Meer aus Kerzenlicht.
Lucretia kniete vor ihr, das blutbefleckte Messer auf einem Samtkissen. Die Auserwählte
lächelte mild und legte ihr die Hand auf den Kopf.
„Schwester Lucretia, einfache Seele
des Lichts,“ sprach sie mit mühsam verborgenem Spott, „du hast getan, was
Männer nicht wagten. Du bist die heilige Jungfrau der Einfalt, Werkzeug
göttlicher Gnade: Denn selig sind die Armen im Geiste, denn sie sind den
Stellvertretern Gottes auf Erden ein Wohlgefallen. Dein Name soll in Ewigkeit
leuchten.“
Game Over
#5.
Todesursache: Glaube anderer.
Moral: Der Weg zur Hölle ist gut organisiert.
Episode 6 – Der gute Bürger
Der Regen
hatte aufgehört, doch die Stadt glänzte noch nass und stank wie ein verwesender
Fisch. Donald Zwingli überquerte die Straße, das Herz schwer, die Hände leer.
Vor ihm ragte die Polizeistation von Gelsum – graue Fassade, gelbes Licht
hinter vergitterten Fenstern. Endlich, dachte er, eine Tür, hinter der der
Wahnsinn aufhört.
Drinnen roch es nach kaltem Kaffee
und Papierstaub.
Ein Beamter saß hinter dem Tresen, die Füße auf dem Tisch, und blätterte
gelangweilt in einem Pornomagazin.
„Was?“ fragte er, ohne aufzusehen.
Donald atmete tief durch.
„Ich muss eine Aussage machen. Es gab … einen Anschlag. Der Shiddl-Markt. Die
Sekte der Feuerknechte Gottes. Ich weiß, wer dahintersteckt.“
Der Polizist hob endlich halbwegs
interessiert den Kopf. Ein müdes Grinsen, dann ein Kichern.
„Ach, die Geschichte. Na, das wird ja spannend.“
Er ließ Donald reden – zehn,
fünfzehn Minuten. Von der Prophetin, von Bruder Tuck, von den irren Gläubigen. Mit
jedem Satz wurde das Kichern lauter.
Bald standen drei Kollegen daneben, lehnten an den Türen, hielten sich die
Bäuche vor Lachen.
„Das ist ja eine tolle Geschichte,
die Sie uns da erzählen!“ bemerkte einer, Tränen in den Augen vor Amüsement.
„Ich habe aber gehört, dass das alles auf das Konto eines wahren Teufels in
Menschengestalt geht.“
Das Gelächter schwappte wie ein sardonischer Tsunami durch den Raum.
Donald vermochte es nicht zu glauben,
das musste ein übler Alptraum sein! Mit bebender Stimme machte er einen
verzweifelten Versuch, dem Nachtmahr zu entkommen.
„Ich will den Reviervorsteher sprechen!“
Da wurde es still. Feixende Blicke
wechselten, dann öffnete sich die Tür zum Hinterzimmer.
Ein Duft nach schwerem Parfum und Macht mischte sich in die Luft.
Die Frau, die hereinkam, trug Uniform und das Lächeln einer Katze, die weiß,
dass der Vogel nicht mehr fliegt.
Donald erstarrte. Er kannte sie. Regelmäßig
hatte sie an der Seite der Prophetin gestanden, bei Predigten, bei religiösen,
immer in der ersten Reihe.
„Na so was,“ sagte die Polizeichefin
und musterte höhnisch ihn.
„Der berühmte Ketzer in Person. Man hat ja schon einiges über Sie gehört.“
Dann grinste sie schief.
„Sie wissen, manchmal passieren in unserem Beruf Unfälle. Schon mancher nervige
Irre oder verräterische Ratte ist dabei versehentlich erschossen worden.“
Ein junger Polizist lachte, zog mit
gespielter Lässigkeit seine Waffe und richtete sie halb auf Donald.
„Meinen Sie, so einen Unfall Chefin?“
„Nein,“ sagte die Unfallspezialistin
ruhig und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Noch nicht. Er soll noch leiden. Ich habe mit der Herrin gesprochen und ihr
meine Pläne für ihn präsentiert. Die Auserwählte war begeistert. Lassen wir ihn
vorerst laufen und kümmern uns später um ihn, wenn alles bereit sein wird!“
Ihre Augen blitzten kurz – nicht vor
Humor, sondern voller Vorfreude hinsichtlich der Dinge, die kommen würden.
Donald sagte nichts mehr und auch im
Revier herrschte nachdenkliches Schweigen, denn man wusste, dass die ‚Pläne‘
der Revierleiterin sich vor allem durch eine gewisse Perversität auszeichneten.
Zwingli wurde von einem grobschlächtig aussehenden Beamten hinausgeführt, der
ihn mit den erkenntnisreichen Worten ‚Geh schon, toter Mann‘ verabschiedete.
Die Tür schloss sich hinter ihm wie
ein schäbiger Sargdeckel mit einem widerlichen metallischen Quietschen. Draußen atmete er die kalte Luft, als wäre sie
das Letzte, was ihm blieb. Seine Knie zitterten. Er war frei und lebte noch –
vorerst.
Was sollte er nur tun?
Also, hier Donalds Optionen:
-
Nach Hause, ins Mörderhochhaus fliehen (Episode 5)
-
Sich als letzte Hoffnung zur Presse begeben (Episode 7)
-
Versuchen aus der Stadt zu fliehen (Episode 8)
Episode 7 – Die Kinder Gottes
Der Rauch
über dem Shiddl-Markt war kaum verweht, da stolperte Donald Zwingli durch die
Seitenstraßen von Gelsum. Er lebte – ein Zufall, ein Fehler im System,
vielleicht Gnade einer höheren Macht oder einfach nur Schicksal. Hinter ihm
heulten Sirenen wie der unterweltliche Chor der Verdammten.
Zur Polizei wagte er sich nicht,
denn die Ordnungskräfte genossen in Gelsum einen gewissen, berechtigten Ruf. Es
mochte sein, dass man ihn kurzerhand als sündenböcklichen Hauptverdächtigen
festnahm -Fall schnell abgeschlossen – oder man ihn gegen eine großzügige
Spende an bedürftige Polizisten seiner ehemaligen Glaubensgemeinschaft
auslieferte.
Blieb also nur die Presse. Vielleicht würde jemand zuhören. Natürlich nicht um
irgendwelche Wahrheiten zu verkünden, sondern um mit einer deftigen Schlagzeile
Kasse zu machen. Selbst die korrupten Polizei- und Justizorgane Gelsums mussten
dann reagieren – so glaubte er zumindest in seiner Naivität.
Also stapfte Donald mit einer Art
von depressivem Optimismus los, Richtung Innenstadt – zum Gebäude des Sun
Express Inquisitor, der letzten Zeitung der Stadt, sensationsgeil, aber
immerhin – nicht schweigend.
Was unser Held nicht bedachte: Der
direkte Weg führte an der St. Judas Akademie vorbei,
dem Vorzeigeprojekt des Vaters der Prophetin: einer blendend weißen
Eliteschule,
errichtet, um die nächste Generation „wahrer Gläubiger“ zu formen.
Auf dem Hof „meditierten“ die Schüler gerade Steine klopfend -ora et labora- im
sogenannten christlich-sozialen Steingarten, von dem man aus einen
auszeichneten Blick auf die Straße hatte.
Donald zog die Kapuze tiefer, beschleunigte den Schritt. Er fühlte die Blicke,
wie Nadeln im Rücken. Dann ertönte eine kindliche Stimme:
„Da! Da ist er – der Teufel!“
Sie gehörte dem elfjährigen Tom, Primus
der Akademie, Sonntagsschüler, Vorzeigeknabe.
Er griff sich einen Stein, wog ihn, schleuderte. Der Wurf verfehlte Donald,
zersplitterte dafür die Fensterscheibe des Pfandhauses gegenüber. Der Klang
ließ ihn zusammenzucken – und stehenbleiben. Ein Fehler.
Die anderen Kinder standen bereits
und jedes hielt jetzt einen Stein.
Tom schrie voll heiligem Eifer: „Der Dämon! Er will zaubern, uns verhexen!
Richtet ihn!“
Donald hob beschwichtigend die Hände, es waren doch nur Kinder.
„Ich will euch nichts …“
Der erste Stein traf ihn an der
Schulter, der zweite an der Stirn.
Dann folgte ein Hagel aus frommer Wut. infantiler Hysterie und grauer Moral. Sie
riefen Bibelverse, lachten, schrien. Donald stolperte, suchte Deckung, doch die
Kinder kamen von allen Seiten. Er rannte, fiel, kroch – und die Welt wurde ein
Sturm aus Steinen und Gebet.
Ein letzter Wurf – Tom selbst – traf
ihn an der Schläfe. Donald fiel. Stille.
Danach nur das Klirren der Steine, die zu Boden rollten, und das Rascheln der
Uniformen der Lehrer, die ihren Schutzbefohlenen ebenso begeistert wie voller
Stolz gratulierten.
Später stand die Prophetin im Glorienschein
der tempeleigenen Flutlichtanlage. Tränen glitzerten auf ihrer Haut -die
versteckte Zwiebel!- wie Taufwasser.
„Unsere Kindlein,“ sprach sie mit
perfekt gespielter Ergriffenheit, „haben das Werk des Herrn vollendet. Sie
haben den Teufel erkannt und gerichtet. Gesegnet sei besonders Tom, das
Werkzeug göttlicher Reinheit und Unschuld!“
Tom stand neben ihr, die Hände
gefaltet, ein kleiner, ernster Messias geisteskranker Intoleranz.
„Du,“ hauchte die dunkle Göttin, „wirst von nun an die Jehova-Jugend führen.“
Die Menge jubelte. Der Stein, der
Donald getroffen hatte, lag in einem Schrein aus Glas, beschriftet mit:
„Reliquie des wahren Glaubens.“
Game Over #7.
Ursache: nächste Generation.
Kommentar: Der Glaube braucht keinen Feind, er züchtet sich selbst.
Episode 8 – Der göttliche Odem
Der Wind, der über den Gelsumer
Busbahnhof fegte, roch nach Diesel, kaltem Fett und aufgegebenen Hoffnungen.
Donald Zwingli rannte über den rissigen Asphalt. Sein Atem kam stoßweise, die
Gedanken sprangen – raus, nur raus aus dieser Stadt, egal wohin. Ein Bus,
irgendein Bus, und wenn er ihn direkt in die Hölle fahren würde, so wäre es
doch besser als hier.
Der Bahnhof war kaum mehr als ein
halbes Dutzend überdachter Bahnsteige, von denen aus in unregelmäßigen
Abständen gelegentlich Fernbusse losfuhren. Zerbrochene Fensterscheiben, ein
halb verblasstes Werbeschild aus besseren Zeiten: „Gelsum – Tor zur Welt.“
Donald lachte kurz, trocken, fast irrsinnig. Unweigerlich drängte sich ihm eine
Analogie zu Dantes ‚Göttlicher Komödie auf – ‚die ihr hier eintretet, lasst
alle Hoffnung fahren‘.
Passend zu den Gedanken, bemerkte er
den höllischen Geruch: Feucht, modrig, scharf – wie nasser Hund, nur
aggressiver. Dann das Knurren. Vier Schatten zwischen den abgestellten Bussen,
schwer atmend, die Leinen straff.
Sherif Nottingham kam aus einer
halbverrotteten Bushaltstelle hervor, in der er sich wohl auf die Lauer gelegt
hatte, Sein Bauch spannte sich gegen das Uniformhemd, auf dem ein schief
gesticktes Abzeichen prangte: Feuerknechte Gottes – Sicherheitsdienst. Neben
ihm die drei Pitbulls – Robin, Hood und Marian. Hood trug tatsächlich eine
kleine, graue Mini-Uniform, komplett mit Abzeichen der konföderierten Armee und
des Clans versehen.
„Leck mich anne Füße,“ grunzte der Sherif und kratzte sich am Hinterteil. „Wat
denn daten da? Dat is ja krass dat Ketzer. Wo willse denn hin?“
Donald blieb stehen, keuchend.
„Ich … will einfach nur raus aus dieser Stadt.“
„Ne, ne, dat darfs jetzt nich tun,“
sagte Nottingham mit einem Grinsen, das zwischen Debilität und primitiver
Bösartigkeit schwankte. „Aber dat Chefin will dat anders.“
Das Sprachgenie hob zu weiteren,
vermutlich vulgärphilosophischen Weisheiten, doch die Hunde waren schneller. Sie
spürten den Geruch von Angst, das Zucken eines Fliehenden; außerdem waren die
findigen Tiere nicht nur Gerüchten nach ihrem Herrn eindeutig intellektuell
überlegen.
Ein kollektives Knurren, dann das
Reißen der Leinen. Robin sprang zuerst, traf Donald an der Brust, riss ihn zu
Boden. Hood und Marian folgten, lautlos, effizient, geübt. Der Regen mischte
sich mit Blut. Donald schrie, dann gurgelte, dann nichts mehr.
Nottingham stand da, blinzelte
verwirrt. Wie so oft, vermochte er die Situation nicht ganz mental zu erfassen.
Nach einer Weile lächelte das Fanal monotheistischer Unweisheit zufrieden, als
hätte ihm der Allmächtige persönlich genervt durch so viel Stupidität eine
erkenntnisreiche Vision geschenkt.
„Krass, dat Ketzer is kaputt für’n Jesus. Dat Chefin wird mir segnen!“
Er spuckte begeistert in eine ölige Pfütze und rief nach seinen Hunden, die sattgefressen
und zufrieden glücklich jaulten wie Kerberos persönlich.
Später, im Tempel, herrschte
Feierlaune. Die Prophetin saß auf dem Thron, in der Hand eine Rose, in der
anderen ein stark parfümiertes Taschentuch. Sherif Nottingham kniete vor ihr,
seine Hunde brav zu Füßen. Ein würziger, penetranter Geruch erfüllte die Halle
und manch ein der auf den Knien liegenden Gläubigen bemühte sich halb
kriechend, der biologischen Gefahrenzone zu entkommen.
„Steh auf, mein tapferer Sherif,“
sprach die Auserwählte Jehovas, während sie sich das Taschentuch an die Nase
hielt - die Stimme zwar von tränenseliger Rührung getränkt, allerdings eine
gewisse Angewidertheit nicht unterdrückend könnend.
„Dein Odem mag irdisch sein, doch Dein Werk war göttlich. Du und deine treuen
Bestien – rächende Erzengel, gesandt, den Sohn des Antichristen zu vernichten.“
Die Menge jubelte, während
Nottingham verständnislos grinste, die Worte seiner Herrin einmal mehr nur
akustisch verstehend.
Robin, Hood und Marian jedoch, bellten im Takt
der Hallelujas.
Game Over
#8.
Ursache: Canidae-Glaubenseifer.
Kommentar: Der Himmel hat viele Werkzeuge, manche brauchen nur einen Knochen.
Episode 9 –
Der Inquirer
Donald Zwingli taumelte durch die schäbig
dunklen Gassen von Gelsum, ein nasser Schatten in einem bizarren Zerrbild einer
Stadt, die nach Hoffnungslosigkeit, Müll und Verachtung roch. Die Polizeiwache
lag hinter ihm – mit ihr der letzte Rest seines naiven Glaubens, dass irgendwo
noch Gerechtigkeit in diesem korrupten Setting hauste.
Bleibende Option: die Presse. Vielleicht druckte ja jemand seine Geschichte, da
sie nach Blut, Wahnsinn und einer hohen Auflagenzahl stank – merke: pecunia non
olet.
Auf dem Weg dorthin bemerkte unser
Whistleblower merkwürdige Dinge: Einzelne Passanten sahen ihn mit obszön
direkten Blicken an, lächelten hämisch, tuschelten.
Niemand attackierte Donald, doch in ihren Blicken lag die kalte Sicherheit
derer,
die wissen, dass der Betrachtete die Lebenserwartung einer Eintagsfliege besaß.
Ein Mann spielte mit seinem Feuerzeug, warf ihm einen höhnischen Blick zu und
lachte laut auf.
Vor einer Bushaltestelle erblickte er
Großmutter Theresa, den Engel der Mühseligen und Beladenen. Donald kannte sie
als die liebevoll gütige Matrone der Gemeinschaft, bekannt für ihre Plätzchen
und ihr Engagement für die Armen im Geiste, die sie regelmäßig dem Tempel
zuführte. Jetzt betrachtete sie ihn mit Zahnlücken und einer Fratze, die
vermutlich selbst Luzifer Angst eingejagt hätte.
„Du wirst brennen, Ketzer“, zischte sie. Dann wandte sie sich ab und fütterte
Tauben mit vergifteten Hostienkrümeln. Der ‚Ketzer‘ schauderte, ging aber
wortlos weiter und erreichte alsbald sein Ziel.
Der Daily Inquirer - ein
bebildertes, aber wenig bildendes Blatt - war leicht zu finden: eine graue
Fassade mit grellbunter Leuchtschrift und Schlagzeilen in den Fenstern.
„Sexskandal: Aliens und der Bürgermeister!“ + „Das Shiddl-Massaker: Eine
Verschwörung der Illuminaten?“
Donald atmete tief durch. Ihm war durchaus bekannt, dass er sich an einem Ort
befand, der weithin als Fanal einer ebenso verlogenen wie schmierigen Berichterstattung
galt. Aber ‚Shiddl-Massaker‘? Das konnte ein Grund der Hoffnung und Ausweg
zugleich sein! Entschlossen betrat er den Palast journalistischer Schande.
Das Gebäude des Daily Inquirer
wirkte innen wie ein Flohmarkt für grotesk billiger Sensationen, das es
letztendlich auch war. Poster von UFOs, lächelnde Politiker mit roten Augen, ein
ausgestopfter Alien hinter der Rezeption.
Eine Sekretärin, jung, elegant, mit einem listigen Lächeln, hörte sich seine
Bitte und gestammelte Geschichte erstaunlich freundlich an.
„Ist ja interessant! Sie wollen doch
bestimmt mit Herrn Rektalarius sprechen, unserem
Redakteur für die ganz heißen Sachen? Der arme Bastard hat mit den geheimen
Fake-Tagebüchern Genghis Khans, die ihm so ein halbseidener Kerl namens
Kabeljau andrehte, ziemliches Pech gehabt und steht nun auf Papas
Abschussliste. Unser ehemaliger Shootingstar braucht jetzt dringend eine geile
Story, die ihn wieder in den Olymp der Schreiberlinge katapultiert!“
„Ja. Ich … ich muss das erzählen, das wird was ganz Großes.“
„Sehr gut! Folgen Sie mir.“
Ihr Gang war leise, grazil, ähnlich
dem einer Katze auf der Pirsch.
Donald bemerkte ihr Schmunzeln erst, als sie ihn durch eine Tür führte – hinein
in das Büro eines Mannes, dessen Maßanzug in dieser Stadt wie Blasphemie
wirkte. Herr Claudius Rektalarius, Redakteur des Inquirer, hob kaum den Kopf
von seinem Bildschirm, zunächst die Sekretärin inklusive ihres Begleiters
bewusst ignorierend. Schließlich entfernte sich die vermeintlich freundliche
Schreibkraft kichernd auf leisen Pfoten und endlich ließ der stolze Journalist
dazu herab, seinen Besucher genauer zu betrachten. Sein Blick glitt über
Donalds zerschlissene Kleidung, blieb an den Schuhen hängen, hob dann eine
Augenbraue.
„Sie sind …?“
„Donald Zwingli. Ich weiß, was in
Gelsum passiert. Die Prophetin, die Feuerknechte – der Shiddl-Anschlag …“
Zunächst grinste Claudius mit
gelangweilter Verachtung, dann, während Donald weiterredete,
löste in seiner Mimik zunehmende Panik, den Ausdruck ungerechtfertigter Hybris
ab. Die Farbe wich aus seinem Gesicht, die Hände zitterten leicht.
„Das … das erzählen Sie mir, Sie
Saukerl? Lucretia, dieses verdammte Miststück! Gott, wäre sie doch nicht die
Tochter des Chefs, was würde ich die fertigmachen! Raus mit Ihnen!“
Er sprang auf, packte den unerwünschten Whistleblower und beförderte ihn
höchstpersönlich Richtung Gebäudeausgang, um ihn der bekannten Bürokraft wieder
zu übergeben.
„Meine liebe Lucretia, ich habe Ihnen gesagt, keine Irren durchzulassen! Aber
vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Befördern Sie doch bitte
dieses Subjekt aus unseren heiligen Hallen des Haltungsjournalismus und richten
ihrem hochgeschätzten Herrn Papa aus, dass dieser sich Kerl heimtückisch
eingeschlichen hatte!“
Während sich Rektalarius einem geprügelten Hund ähnlich aus dem Staube machte,
konnte besagte Lucretia ein lautes, fröhliches Lachen nicht unterdrücken, das
abrupt endete, als sie den von konfusem Entsetzen ergriffenen Zwingli
betrachtete.
„Unser Oberschleimer ist nervös,
was?“, bemerkte die Cheftochter mit einer Spur Mitleid in der Stimme, „Wissen
Sie, warum? Weil der Vater der Prophetin
Senator Cethegus Moloch ist. Sie kennen den großen Moloch doch bestimmt! Den
meisterlichen ‚Puppet Master, ‘der Mann, der angeblich ‚in jeder Tasche seines
Anzugs einen toten Präsidenten‘ versteckt. Und glauben Sie mir: Er ist
mächtiger als Gott und bösartiger als Luzifer. Kann sein, dass er diesen
elenden Rektalarius einfach umlegen lassen wird, nur weil er mit Ihnen redete.“
Donald starrte sie an, wie ein
Todeskandidat in früheren Zeiten den elektrischen Stuhl.
„Oh Gott! Danke, aber haben Sie eigentlich keine Angst?“
Lucretia lächelte maliziöser
Feinheit.
„Machen Sie sich um mich keine
Sorgen, Onkel Cethegus kennt mich und schätzt sogar meine Art. Außerdem würde
er seiner Nichte nie ein Haar krümmen, da er nun einmal einen ausgeprägten
Familiensinn besitzt. Aber Sie sollten jetzt gehen, bevor hier noch jemand
anders bemerkt, dass Sie noch leben.“
Draußen blendete das Licht. Der Wind
trug den Geruch der Stadt zu ihm – Regen, Benzin, Verwesung. Donald lachte
heiser, griff sich an die Brust, spürte dort den Abdruck des Holzkreuzes. Es
fühlte sich an wie das Stigma seines unausweichlichen Untergangs
Tja, welche Optionen hat unser
‚Ketzer‘ noch:
-
Nach Hause, ins Mörderhochhaus fliehen, um sich zu verkriechen (Episode 5)
-
Sich ein Versteck in der Stadt suchen (Episode 10)
-
Versuchen aus der Stadt zu fliehen (Episode 8)
Episode 10 – Das Freudenfeuer
Gelsum war
zur Kulisse eines Alptraums geworden, und Donald Zwingli stolperte hindurch,
verzweifelt nach einem Versteck Ausschau haltend, in dem er sich verkriechen
konnte. Überall spürte er Blicke, die nicht nur in seiner Imagination
existierten. Doch hielten jene Verfolger, die er bemerkte, angemessenen Abstand
und beschränkten sich aufs Observieren und die gnadenlose Straße verlachte ihn
in ihrer Gier.
Schließlich
rannte er wie ein gehetztes Tier, glaubte ernsthaft die Verfolger abgeschüttelt
zu haben, die ich jedoch noch unbemerkt beobachteten und zum Finale schritten.
Außer Atem blieb er an einer Kreuzung stehen, sah hinunter in eine dunkle
Gasse.
Ein Zufluchtsort? Ein Loch, in dem er wenigstens vergessen werden könnte?
Ein leerstehendes Haus vielleicht, mit genug Dunkelheit für einen letzten
Atemzug?
Die Antwort kam als blendendes Blaulicht, von den fleißigen Spionen für den
entscheidenden Schlag aktiviert. Reifen quietschten, Türen klappten. Eine
Stimme brüllte: „Polizei! Hände hoch!“.
Uniformen, Helme, Gewehre – ein Dutzend Männer, vielleicht mehr. Man behandelte
ihn wie einen Terroristen, wie einen Schwerstkriminellen. Er fiel auf die Knie,
hob die Hände
„Bitte … leiste keinen Widerstand!“
rief er, aber die Worte gingen im Gelächter unter.
Einer der Beamten grinste breit.
„Wie schade! Aber umlegen dürfen wir Dich ja sowieso nicht, aber vermutlich
wirst Du Dir später wünschen, wir hätten es getan!“
Der Rest lachte noch ausgelassener als vorher.
Sie stießen ihn vorwärts, traten,
spotteten, und Donald schwieg verwirrt.
Er erwartete eigentlich erwartet, dass man ihn sofort mit Kugeln durchsieben
würde. Vermutlich beabsichtigten die Ordnungskräfte, ihn aufs Revier zu bringen,
um sich in Ruhe mit ihm ‚zu beschäftigen‘. Natürlich würde man ihn nach
genügend Folterungen irgendwann ‚auf der Flucht‘ erschießen. Derartiges dachte
der Gefangene von Gelsum - Askaban entsprach im Vergleich dazu einem
Luftkurort-, aber er irrte sich.
Doch die Wagen fuhren durch die hereinbrechende Dämmerung nicht in Richtung Polizeirevier,
sondern bogen ab, raus in die Industriebrache, wo die Fabrikruinen als Fanal
einer längst vergangenen Zeit wie leere Totenschädel standen. Als die
Dunkelheit den Tag verschlungen hatte, erreichte der Konvoi schließlich das
Gelände der Minen von Moria und fuhr durch das verrostete, weit geöffnete Tor
Hinter dem zerfetzten Maschendraht
lag ein weiter Hof, von Fackeln gesäumt.
Der Platz war von einem Menschenmeer überflutet. Hunderte, vielleicht Tausende
– Männer, Frauen, Kinder, alle in Schwarz, alle mit Kerzen. In der Mitte ein
gewaltiger Scheiterhaufen, aus alten Paletten, Autoreifen und Bibeln
geschichtet, und davor stand die dunkle Göttin, die Prophetin.
Sie war größer, als er sie in
Erinnerung hatte – oder seine urtümliche Angst ließ sie ihm so erscheinen. Ihr hautenges
Gewand strahlte eine Art von perverser Erotik aus, die Augen glühten wie die
eines unbarmherzigen Lavastroms. Die Auserwählte hob langsam den Arm, und das vorherige
Stimmengewirr verstummte; nur das Knistern der Fackeln blieb. Die Polizisten
schoben Donald kichernd nach vorn. Ein Raunen ging durch die Menge, dann
Jubelrufe, dann pseudoreligiöse Gesänge, die klangen wie ein disharmonischer
Chor der Verdammten.
„Reinigt das Fleisch, reinigt die Seele!“
„Der Ketzer brennt, der Himmel lacht!“
Donald stolperte, fiel auf die Knie,
der Boden war schlammig, kalt. Zwei Hände packten ihn an den Schultern, zerrten
ihn wieder hoch. Er sah in die Gesichter der Menge – viele kannte er, ehemalige
Nachbarn, Kollegen, die Bäckerin, den Pfandhausbesitzer – sie lächelten
verzückt in Erwartung des anstehenden Freudenfeuers.
Die Gesalbte des Herrn trat langsam näher,
jeden Augenblick genießend. Tränen der Freude rannen über ihr Gesicht, glänzend
wie heiliges Öl.
Sie blickte ihn mit perfekter Schauspielkunst an – gütig fast, wie vermutlich
der neutestamentalische Vater den verlorenen Sohn.
„Oh Du verirrter Lakai Satans,“ sprach
sie bedauernd, „du hast viel Verwirrung gestiftet. Aber der Herr vergibt –
durch reinigendes Feuer.“
Ihre Mimik veränderte sich zu einem heiteren Basiliskenlächeln.
„Führet nun den Sohn des Antichristen heran.“
Der recht armselige Teufelssohn
sträubte sich, trat, schrie, doch die Hände an seinen Armen waren zu viele. Man
schleifte ihn durch den Schlamm bis an den leicht nach Benzin stinkenden Holzstoß.
Und nun
verstand er der Wahrheit unerbittlichen Kern: Das Freudenfeuer war nicht nur
für ihn gebaut. Es war ein Fanal für alle, die je gezweifelt hatten – ein
Mahnmal der Gehorsamkeit und totalen Unterwerfung.
Die Prophetin nickte ihren Gottesknechten zu.
Gut sieht es
ja nicht aus für unseren ‚Helden‘! Schauen wir einmal nach seinen Optionen:
-
Um Gnade flehen, um die Prophetin zu erweichen (Episode 11)
-
Den Mann in sich erwachen zu lassen und schweigen, um die Prophetin zu
beeindrucken (Episode 12)
-
Versuchen sich zu rechtfertigen und an die Vernunft der Auserwählten
appellieren (Episode 13)
Episode 11 – Autodafé
Benzin und
Weihrauch mischten sich zu einem Geruch, der an eine groteske Messe erinnerte.
Donald Zwingli kniete im Schlamm, die Hände gefesselt, das Gesicht blass vor
Angst. Er zitterte, der Atem ging stoßweise. Der Delinquent wusste, dass Reden vermutlich
sinnlos war,
aber die Angst – dieses uralte, nackte Ding in der Brust – ließ ihn wider aller
Ratio doch sprechen.
„Ich … ich flehe euch an … ich bin
kein Ketzer, kein Teufel! Ich bin doch nur ein Nichts, ein Wurm!“
Seine Stimme brach.
„Bitte … Gesalbte Jehovas … Gnade, nur Gnade!“
Die Prophetin betrachtete den
Bittsteller mit vor Freude funkelnden Augen. Ihre ganze Körpersprache drückte
aus, dass ihre feurige Show so lief, wie sie sich es sehnlichst gewünscht
hatte.
„Oh, irregeleiteter Häretiker,“ sagte sie mit Oskar würdigem, süßem Bedauern,
„du hattest deine Chance. Aber du hast den Herrn verleugnet, du hast gesät, was
jetzt geerntet wird. Jedes Anrecht auf Gnade hast Du mit Deiner erbärmlichen
Ketzerei verwirkt!“
Sie beugte sich leicht vor, die
Stimme warm, fast zärtlich in ihrem Sadismus:
„Flehe nicht um meine Gnade – flehe um die des Himmels für deine verdorbene
Seele.“
Donald schluchzte voller
Verzweiflung, allerdings übertönt von der klatschenden und jubelnden Menge. Kinder
wurden auf Schultern gehoben, damit sie besser sehen konnten,
wie der „Sohn des Teufels“ endlich bezahlt.
„Richtet ihn!“ rief die rief die
Auserwählte des Herrn mit alttestamentarischer Strenge. Die Worte hallten wie der
Befehl des Allmächtigen selbst zur Vernichtung Sodoms und Gomorrhas durch die
Nacht.
Zwei Polizisten packten Donald, er
strampelte, weinte, schrie, aber seine Füße rutschten im Schlamm. Schließlich
banden sie ihn an den Pfahl – ein wohl verschnürtes Opferlamm, bereit ein
grausames Schicksal im Namen eines gnadenlosen Gottes zu erleiden.
Die dunkle Göttin hob die Arme.
„Heute,“ verkündete sie salbungsvoll, „wird das Licht des Herrn über Gelsum
strahlen!
Der Glaube ist rein – das Feuer ist sein Werkzeug!“
Dann wandte sie sich, mit sich und
der Inszenierung vollauf zufrieden. um.
„Ruft die Vollstreckerin göttlichen Willens herbei!“
Aus dem Schatten trat die
Polizeichefin, Uniform glänzend in dunkler Pracht, Gesicht hart.
In der Hand hielt die Henkerin der besonderen Art eine Fackel, deren Flamme
heller brannte als das Fegefeuer. Die Prophetin nickte ihr anerkennend zu.
„Ein
göttlicher Einfall, deine Idee, Schwester im Dienst – das Autodafé ist wahrlich
die schönste aller Gaben.“
Die Polizeichefin lächelte schmal, voller Stolz, ging auf den Scheiterhaufen
zu.
Donald schrie, riss an den Seilen, bis
das Blut an seinen Handgelenken glänzte.
Die Fackel senkte sich, Benzindunst flackerte, und die ersten Flammen leckten
am Holz.
Also für
Donald ist im Gegensatz zur anwesenden Meute die Party fast vorbei. Es bleiben
eigentlich nur zwei Optionen:
-
Was solls, wenn man schon den Abgang machen muss, kann man dieses Miststück
von Sektenführerin zumindest ordentlich verfluchen (Episode 14)
-
Aufrichtig bereuen und in das Reich der Unheiligen der letzten Tage
eingehen (Episode 15)
Episode 12 – Der Schweigende
Die Luft war von schneidender Stille,
als hielte selbst der Wind den Atem an. Donald Zwingli kniete vor der
Prophetin, der dunklen Göttin, umgeben von Fackeln, Gesängen, und einem Volk,
das Erlösung im Flammentod eines anderen suchte. Er wusste, dass jedes Wort,
jedes Flehen sie nur füttern, sie triumphieren lassen würde.
Also schwieg er.
Sein Atem ging flach, die Hände
zitterten, doch er sagte nichts.
Kein Betteln.
Kein Wimmern.
Nur Stille.
Die Prophetin beugte sich leicht
vor. Zuerst lächelte sie noch – das falsche, mütterliche Lächeln, das ihre
Jünger so sehr liebten. Dann begriff sie und ihr engelsgleiches Gesicht zu
einer Fratze ihres wahren Selbst. In
ihren Augen flackerte unbändige Wut – wie konnte es dieses Nichts von einem
Mann nur wagen ihr zu trotzen. Wollte denn dieses dumme Opferlamm ihr die Show
verderben?
„Du Teufelsbrut wagst es, zu
schweigen?“
Ihre Stimme schnitt schrill durch die Stille wie der Schrei einer Banshee.
„Du, der die Heiligen verhöhnt hat? Der Du das Licht verlassen hast und in der
Finsternis wohnst?“
Donald lächelte nur abfällig sie an,
wortlos. Was hatte er schon zu verlieren, er war sowieso ein toter Mann.
Das machte das machte die Auserwählte des Herrn verrückt vor unheiligem Zorn.
„Rede, Ketzer!“ schrie sie mit
überschnappender Stimme fast bittend. „Bekenne! Flehe! Kriech!“
Donald tat nichts davon, sondern spuckte
gezielt in Richtung der Prophetin. Weder die Prophetin noch Umstehende konnten
die Blasphemie ihres Ketzer nicht fassen und für kurze Zeit herrschte eine
unheimliche Stille.
Die dunkle Göttin bebte, streckte die
Arme zum Himmel, dann schwoll ihre Stimme schwoll an zu einer Donnerpredigt, die
über den Hof rollte wie eine Sturmwelle aus Hass und Verderben.
„Hört, Volk des Lichts!“ rief sie mit vom Wahnsinn verzerrter Stimme, „Satan
ist hier und verhöhnt den Herrn und seine Tochter! Schändet Christus, verhöhnt
euch! Sein Herz ist Stein, seine Seele Asche! So soll er nun für ewig
vernichtet werden, auf dass kein Dämon mehr seinen Namen flüstere!“
Die Menge johlte. Ein Geheul aus den
Abgründen der Hölle, ein Wogenschrei aus Rache und Mordlust. Es gab kein Halten
mehr. Einer Meute ausgehungerter Wölfe gleich stürzte man sich auf den
Delinquenten.
„Haltet ein! Ich befehle es euch!
Das Feuer soll ihn doch reinigen!“, fast verzweifelt versuchte die Prophetin
das Unvermeidliche zu verhindern, aber niemand beachtete sie mehr.
Schließlich ließen sie vom furchtbar
zugerichteten ‚Ketzer‘ ab und trollten sich wieder in die Reihen der Kinder des
Gottes der Finsternis.
Die Gesalbte dieses Herrn begriff,
dass sie sich in einer prekären Situation und ein gewisses Problem mit ihrer
Autorität entstanden war. So reagierte sie blitzschnell, denn nicht umsonst war
sie Molochs Tochter.
„Jubiliere nun, oh heiliges Volk! Gerichtet
habet ihr nun Satan und auf Geheiß eurer Prophetin, der Tochter des Herrn, das
Böse ausgemerzt! So wird euch unendlicher Lohn im himmlischen Reiche zuteil
werden.“
Kinder schrien, Erwachsene lachten, Fäuste
reckten sich gen Himmel.
Die Prophetin hatte ihre Schäfchen
wieder im Pferch, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass letztendlich ihr
Opfer über sie triumphierte.
Game Over #12.
Subjekt Zwingli = ein schneller Tod.
Prophetin = das Spiel verloren.
Episode 13 – Die Seligkeit der Armen im Geiste
Der Hof der
alten Fabrik glich einem grotesken Jahrmarkt des Glaubens.
Tausend Fackeln flackerten wie verglühende Seelen im Reich eines vergessenen
Gottes der Unterwelt. Kerzenlichter tanzten auf freudig erregten Gesichtern, und
in der Mitte – der Scheiterhaufen, das Altarstück des Abends auf dem das
Brandopfer vollzogen werden sollte.
Donald Zwingli kniete davor, die
Hände gebunden, und suchte verzweifelt nach Worten, die retten konnten, was
längst verloren war.
„Ich habe nicht gesündigt,“
stammelte er, „ich wollte nur verstehen. Ich bin kein Feind, kein Werkzeug des
Bösen. Ihr müsst mir glauben – ich wollte niemandem schaden! Ich bin noch immer
ein Diener des Herrn und Christus ist mein Erlöser!“
Die Gesalbte des Herrn, erleuchtet
vom flackernden Schein der Fackeln, neigte unwillig den Kopf leicht zur Seite. Ein
dünnes, freudloses Lächeln zog über ihre Lippen. Sie hatte eigentlich gehofft,
dass diese Null von einem Mann, ihr erwählter Sündenbock, um Gnade betteln
würde. Aber gut, die Show gestaltete sich zwar nicht perfekt, aber musste
einigermaßen zufriedenstellend weitergehen.
„Er hört nicht auf,“ so sprach sie in alttestamentarischen Zorn, „dieser Sohn
der Lüge, dieser Diener der Zunge Satans! Frech verspottet er unseren Heiland,
der zu unser aller Heil von seinesgleichen ermordet wurde!“
Ihre Stimme schwoll an, ein theatralisches Donnern, einem Crescendo wahnsinnigen
Fanatismus.
„Blasphemie! Jeder seiner Laute ist
Gift! Knebelt ihn, bevor der Antichrist, der durch ihn spricht, uns alle ins
Unheil stürzt!!“
Zwei Polizisten traten diensteifrig vor,
grobe Hände, fester Griff. Donald wollte noch etwas sagen – vielleicht eine weitere,
sinnlose Rechtfertigung, vielleicht ein letzter Fluch – doch ihm der ölverschmierte,
schmutzige Stoff wurde ihm in den Mund gepresst. Seine Worte erstickten
zwischen Stoff und Angst orchestriert vom zornigen Unwetter der unheiligen
Meute.
Die
Prophetin hob theatralisch die Arme als wolle sie Feuer und Schwefel beschwören
„So vollstrecket nun das göttliche Urteil: Der Sohn des Teufels soll durch das
Feuer geläutert werden!“
Dann wandte sie sich mit perfekt gespielter
Demut der Menge zu.
„Aber heute,“ sagte sie mit einem dunklen Lächeln, „soll die Hand des Himmels
durch die Unschuld der Einfältigen wirken! Schwester Lucretia, vernichte Du die
Teufelsbrut!“
Sie warf einen leicht ungnädigen
Blick auf die Polizeichefin, die neben ihr mit einer brennenden Fackel stand.
Die verstand sofort! Hatte sie der Gesalbten des Herrn doch versichert, dass
dieser ‚Schlappschwanz‘ Zwingli publikumswirksam um Gnade betteln würde? So
begriff die uniformierte Nemesis, dass ihr nun die vorher zugedachte,
ehrenvolle Rolle als Henkerin ihr zur Strafe verwehrt blieb. Mit steifer Würde
übergab sie das feurige Ketzerentsorgungsinstrument an Schwester Lucretia, die
aufgeregt zwischen den Gläubigen hervortrat.
Die Prophetin legte ihr die Hand auf
den Kopf.
„Gesegnet seien die Armseligen im Geiste,“ sprach sie, „denn sie sind der
himmlischen Mächte ein Wohlgefallen!“
Die Menge jubilierte voller Freude,
rief heilige Bibelverse aus, die so gar nicht zu der Situation passen wollten.
Lucretia hielt die Fackel wie vermutlich ihr Lieblingsspielzeug, beäugte sie
mit ebenso frommer wie infantiler Unsicherheit und blickte dann verwirrt um
sich, da sie offensichtlich nicht ganz begriff, was sie damit anfangen sollte.
Allmählich ergriff die Auserwählte
eine gewisse Ungeduld.
„Lucretia, Du welke Blume im Garten
der göttlichen Unwissenheit, jetzt entzünde endlich den Scheiterhaufen!“
Irgendwo aus der Menge hörte man ein
kehliges Lachen, das aber schnell verklang, da inzwischen die einfältige
Henkerin ihre Aufgabe realisierte und sich ans Werk machte. Der erste Versuch erfolgte
recht zaghaft und die Flamme erlosch nach kurzem Aufflackern. Beim zweiten
Versuch fiel die Fackel zu Boden, und Lucretia bückte sich umständlich, um sie
wieder aufzuheben.
Derweil konnte man in den Reihen der Gläubigen eine gewisse, unterdrückte
Heiterkeit beobachten und selbst die Prophetin musste enorme Willenskraft
aufwenden, um angesichts der Slapstickeinlage nicht lauthals loszulachen.
Allerdings erbarmte sich schließlich ein rachsüchtiger Gott oder jemand, der
einige Etagen tiefer wohnte seiner unbedarften Dienerin und Flamme griff
schließlich – denn; Freunde, Drei ist eine heilige Zahl und dreimal darfst Du
raten!
Die Meute, inklusive der Prophetin,
stieß einen Seufzer aus, in dem Erleichterung und freudige Erwartung
ineinanderflossen.
Das Holz fing Feuer, die Benzinreste zündeten, und ein warmer, süßlicher Rauch
stieg auf. Donald bäumte sich auf, doch die Seile hielten, der Knebel dämpfte
seine Schreie zu dumpfen Lauten. Das Feuer umarmte ihn, führte ihn zum
grauenvollen Totentanz.
Die Prophetin breitete ihre Arme
aus, als wolle sie selbst in den Himmel auffahren.
„Siehe, Herr!“ rief sie ekstatisch, „Deine
Gerechtigkeit vollzieht sich durch die Demut der Reinen im Geiste!“
Die Menge jubelte, und Schwester
Lucretia strahlte, als habe sie gerade die Tür zum Paradies geöffnet und würde
von einem peinlich berührten Jesus daselbst in die Gefilde der Seligen
geleitet.
Die dunkle Göttin wandte sich dem Publikum zu, hob die Hände, und die Hymnen
der Gläubigen schwollen an wie das Feuer.
Game Over #13
Episode 14 – Das heilige Feuerkind
Das Feuer
hatte bereits seine Stimme gefunden. Es zischte, knisterte, sang – ein Chor aus
Holz, Rauch und Schmerz. Donald Zwingli, die Hände gefesselt, der Körper von
Flammen umspielt, hob den Kopf ein letztes Mal. Er sah die Prophetin, das
Gesicht triumphierend verklärt, die Lippen zu einem lächelnden Gebet verzogen.
Er wusste, es war nun endgültig vorbei und wenn es schon sein sollte, wollte er
nicht wie ein demütiges Schaf abtreten.
„Verflucht seist du, falsche
Heilige!“ keuchte er, „Nicht Gott dienst Du, sondern dem Teufel, der Deine
Seele fressen wird!“
Ein Aufschrei ging durch die Menge. Kinder
hielten sich die Ohren zu, Erwachsene fluchten.
Die Auserwählte rührte sich nicht. Nur ein belustigtes Zucken ihrer Augen – sie
hatte ein Szenario mit ähnlichen, letzten Worten bereits durchgespielt und
Vorkehrungen getroffen.
Die Prophetin breitete die Arme aus,
ihr Gesicht jetzt vom Feuerschein vergoldet.
„Ihr habt es gehört!“ rief sie, „Selbst jetzt spricht der Teufel aus ihm! Doch
der Herr wird ihn bannen – durch das Zeichen des Lichts!“
Ein Polizist trat vor und brachte
ihr ein goldenes Kreuz, verziert mit Edelsteinen, so groß,
dass es eher einem Zepter glich als einem Symbol des Glaubens. Sie nahm es an
sich, drehte sich mit majestätischer Eile zur Menge, auf dass der Sohn des
Teufels nicht verbrannt sein möge, bevor sie ihre Show beenden konnte.
„Weichet, ihr Dämonen!“ rief sie
gravitätisch, „Weichet, ihr Mächte der Finsternis! Das Licht Gottes lodert in
diesem Feuer, und kein Fluch wird den Glauben trüben!“
Die Menge antwortete im rhythmisch
im Kollektivrausch: „Weichet! Weichet!“
Dann wandte sie sich wieder eilig an die Zuschauer, um den Höhepunkt des
Schauspiels rechtzeitig zu inszenieren.
„Doch heute, meine Kinder, soll die Unschuld selbst das Böse richten. Denn nur
reine Hände können den Schatten des Teufels vertreiben. Lasset nun das Kindlein
zu mir kommen“
Hinter ihr trat Tom hervor – elf
Jahre alt, in ein weißes Messgewand gehüllt, die Locken frisch gekämmt, das
Gesicht leer vor Ernst. In seinen Händen ein kleiner Metalleimer.
Die Prophetin legte ihm zärtlich die
Hand auf die Schulter.
„Sehet Volk Gottes, wie des Satans Macht mit geweihtem Wasser gebrochen wird!
So gieße nun, Du kleiner Engel, Gottes eigenen Ausfluss über den Ketzer!“
Tom nickte, gehorsam wie ein
Ministrant. Er ging seinen Instruktionen gemäß gemessen, aber schnellen
Schrittes auf den Scheiterhaufen zu und goss das ‚Weihwasser‘, das einen recht
argen Benzingeruch verströmte über den noch immer fluchenden Donald. Der Scheiterhaufen
explodierte förmlich in einem einzigen, gleißenden Aufleuchten und Donald
Zwingli war nur noch Licht.
Die Prophetin schloss zufrieden die
Augen, ein Gefühl, das einer Art Orgasmus glich, strömte wie die Flammen des
Infernos durch ihren Körper. Nach kurzer Zeit erlangte sie ihre Contenance
wieder, hob das Kreuz und segnete die Flammen.
Die Menge sang, jubelte, und als die letzten Fetzen von Rauch in den Himmel
stiegen,
stimmte ein frommer Höllenchor das Te Deum an. Falsch, laut, ekstatisch.
Game Over #14.
Episode 15 – Der Hammer Gottes
Die Flammen hatten ihn fast
aufgefressen, aber noch nicht ganz. Donald Zwingli war ein schwarzer Schatten
im Feuer, ein Körper, der nur noch aus Schmerz und Geräusch bestand.
Das Holz krachte, Benzin glomm nach – und irgendwo zwischen Zischen und
Kreischen brach etwas in ihm. Vielleicht der Wille, vielleicht das Denken. Dann
kamen die Worte, die ihn retten sollten, die er in einem letzten Aufbäumen der
Selbsterhaltung herausschrie.
„Ich … bereue, oh Allmächtige!“
Die Menge johlte, aber verstummte
schlagartig, als die Auserwählte gebieterisch den rechten Arm hob.
„Schweiget, Kinder Gottes! Ihr habt
es gehört! der Ketzer bekennt! Das Feuer hat ihn geläutert! Löscht die Flammen.
Löst ihn!“
Ein Raunen, dann hektische Bewegung.
Wasser schüttete, Stangen klirrten, Seile lösten sich.
Donald fiel nach vorn in den Schlamm, dampfend, zitternd, halbtot.
Die dunkle Göttin trat zu ihm, ihre Robe unberührt, ihr Gesicht von innen
leuchtend. Ihr Geist erfüllt vom Triumph ihrer Macht, denn war es nicht das
Zeichen der Göttlichkeit, willkürlich über Leben und Tod zu entscheiden? Ohne
Reue, ohne Rechtfertigung!
Sie beugte sich über ihn, sprach mit der Stimme, die wohl der Jesus ähnelte,
als er Lazarus aus dem Totenreich holte.
„Siehst du, Donald? Gott ist groß.
Er vergibt sogar dem elendesten Sünder, wenn dieser aufrichtig bereut.“
Donald hob den Kopf, Tränen und Ruß
mischten sich zu schwarzen Rinnsalen. Er nickte heftig, wieder und wieder, kriecht
auf den Knien zu ihr, küsste den Saum ihres Gewandes,
dann ihre Füße.
Sie legte ihm die Hand auf den Kopf.
„Erhebe dich, mein Sohn. Aus dem Feuer geboren, vom Herrn selbst gesegnet. Von
nun an bist du nicht mehr Ketzer, sondern Werkzeug.“
Donald sah sie an, und in seinen
Augen lag keine Angst mehr – nur spiegelnde Leere eines gebrochenen Verstandes.
„Ich diene, Herrin!“ flüsterte er.
Die Prophetin richtete sich auf, ihre
Silhouette vor dem brennenden Restholz eine Offenbarung aus Macht.
„Brüder, Schwestern!“ rief sie, „Seht, der Herr hat aus einem Sünder einen
Inquisitor gemacht! So sei Donald Zwingli von heute an der Hammer, der die
Ungläubigen zerschmettert!“
Die Menge brach in unendlichen Jubel
aus, Tränen, Gesänge, ekstatisches Lachen.
Einige fielen auf die Knie, andere warfen Blumen.
Die Prophetin lächelte zufrieden, die Augen voller Vergnügen über ihr Kunstwerk,
ihr Geschöpf, den Bewies ihrer Macht nach Belieben zu erniedrigen und zu
erheben.
Der getreue Inquisitor stand neben ihr, aufrecht, schweigend, ein gnadenloses
Instrument im Dienst der dunkeln Göttin.
THE END

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